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Das Einstein-Teleskop

Es ist eines der wichtigsten europäischen Forschungsprojekte mit weltweiter wissenschaftlicher Tragweite und Italien ist mit Sardinien Standortkandidat für seine Unterbringung im Bereich des stillgelegten Bergwerks Sos Enattos in der Gegend von Nuoro. Es handelt sich um die große unterirdische Infrastruktur für den zukünftigen Gravitationswellendetektor der dritten Generation. ET wird in der Lage sein, im Vergleich zu den heutigen Instrumenten zweiter Generation, den Interferometern LIGO in den Vereinigten Staaten und VIRGO in Italien, die dank wissenschaftlicher Kooperationen 2015 zum ersten Mal die Gravitationswellen beobachtet haben, die vor 100 Jahren von Albert Einstein vorausgesagt wurden, ein mindestens tausend Mal größeres Volumen des Universums zu beobachten. Die Entdeckung wurde 2017 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.

Das Projekt

Das Einstein-Teleskop heißt so, weil es ein Instrument ist, das der „Beobachtung“ der Gravitationswellen dienen wird, die aus dem tiefen Raum die Erde erreichen. Es ist Albert Einstein gewidmet, der, beruhend auf seiner allgemeinen Relativitätstheorie, als Erster ihre Existenz vermutete. In Wirklichkeit wird ET das Universum weniger beobachten als ihm lauschen, da es sich bei den Gravitationswellen um so etwas wie seine Stimme handelt, das Echo der extremsten astrophysikalischen Ereignisse, die ihm Kosmos stattfinden, wie die Koaleszenz von Schwarzen Löchern oder von Neutronensternen oder die Explosionen von Supernovae.

Das Einstein-Teleskop-Projekt sieht den Bau einer großen unterirdischen Infrastruktur vor, die einen Gravitationswellendetektor auf einer Tiefe zwischen 100 und 300 Metern unterbringen wird, um ihn in einem Zustand der „Stille“ zu halten und ihn so sowohl gegen seismische Wellen als auch in Bezug auf menschliche Aktivitäten zu isolieren, die das darstellen, was „Rauschen“ genannt wird, da es eine Störquelle für die Messungen darstellt, die ET vornehmen soll.

Die Grundidee von ET basiert auf den mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Erfolgen von VIRGO und LIGO, die dank der ab 2015, dem Jahr der Entdeckung der Gravitationswellen, bis heute erfolgten Beobachtungen unsere Art und Weise das Universum zu untersuchen revolutioniert und so die Ära der Gravitationswellenastronomie – die Erforschung der Himmelskörper und des Kosmos anhand von Gravitationswellen – und der Multi-Messenger-Astronomie – die Erforschung des gleichen astrophysikalischen Phänomens anhand von von mehreren kosmischen Boten, wie Gravitationswellen, elektromagnetischer Strahlung sowie Neutrinos, kommenden Informationen – eingeläutet haben. Die Entdeckungen hinsichtlich der Gravitationswellen, an denen Italien dank des Experiments mit dem Gravitationswellendetektor VIRGO, der sich im Europäischen Gravitationswellen-Observatorium (EGO) in der Nähe von Pisa befindet, maßgeblich beteiligt war, haben diesen Sektor der wissenschaftlichen Grundlagenforschung zu einem der vielversprechendsten gemacht.

Im Vergleich zu den heutigen Interferometern wird ET ein ca. tausend Mal größeres Volumen des Universums beobachten und aufgrund der Perspektiven, die es sowohl in Hinblick auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse als auch auf technologische Innovation eröffnen können wird, als ein Spitzenprojekt auf internationalem Niveau betrachtet, so dass es dank eines von Belgien, den Niederlanden, Polen und Spanien unterstützten Vorschlags unter italienischer Leitung in die Roadmap des ESFRI 2021 (Europäisches Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen) aufgenommen wurde, dem europäischen Organismus, der angibt, wo in Europa bei welchen wissenschaftlichen Infrastrukturen Investitionen entscheidend sind.

Wissenschaftliche Ziele

Das Einstein-Teleskop ist ein Projekt der wissenschaftlichen Grundlagenforschung, daher hat seine primäre und vorrangige Mission wissenschaftlichen Charakter: Sein Ziel ist die Erkenntnis, die Untersuchung des Universums mit den Gravitationswellen anhand seiner Geschichte, indem diese in der Zeit bis in die Epoche zurückverfolgt wird, in der das Licht erschien, um seinen Ursprung zu verstehen, wie es entstanden ist und sich entwickelt hat und wie seine Zukunft aussehen wird.

Heute kennen wir etwas weniger als 5 % unseres Universums, d. h., die gewöhnliche Materie, aus der wir gemacht sind, und all das, was wir im Kosmos beobachten können. Von den restlichen ca. 95 % wissen wir praktisch nichts, wir können nur auf Grundlage unserer Beobachtungen annehmen, dass eine weitere Form von Materie, die dunkle Materie genannt wird, und eine Energie, die dunkle Energie genannt wird, existieren, beide unbekannter Natur. Das Einstein-Teleskop-Projekt wird dazu beitragen können, das Dunkle Universum zu verstehen, indem einige Hypothesen überprüft werden, wie zum Beispiel primordiale Schwarze Löcher oder Axionen als mögliche Kandidaten zur Bildung der dunklen Materie, die ca. 25 % unseres Universums darstellt, genau deren Natur jedoch heute eine der größten noch ungelösten Fragen darstellt. Ein weiteres wichtiges wissenschaftliches Ergebnis, das ET hervorbringen kann und das den Weg zum Verständnis des Urknalls und damit des Ursprungs des Universums ebnen würde, ist die Messung von mit seiner Ausdehnung und damit mit dem Problem der dunklen Energie verbundenen kosmologischen Parameter, von der wir nur wissen, dass sie über 70 % des Universums darstellt und seine Entwicklung stark beeinflusst.

Durch die Beobachtung eines 1000 Mal größeren Volumens des Universums im Vergleich zu dem, das mit den heutigen Gravitationswellendetektoren der zweiten Generation untersucht werden kann, wird ET in der Lage sein, eine beeindruckende Anzahl von Signalen aus der Koaleszenz sowohl von Neutronensternen als auch von Schwarzen Löchern aufzuspüren und so zum Verständnis der Natur der extremsten astrophysikalischen Objekte beitragen und anhand dieser die Sterne erforschen, aus denen sie hervorgegangen sind, und so bis zu den ersten Sternen des Universums zu gelangen. ET wird es zum ersten Mal gestatten, die Geschichte des Universums zu erkunden, indem bis in das dunkle Zeitalter der Kosmologie in der Zeit zurückgegangen wird, als die Photonenquellen von Sternen und Galaxien sich noch nicht gebildet hatten, und so die Prozesse zu beleuchten, die ihre Entwicklung gekennzeichnet haben.

ET wird es gestatten, erwartete, doch noch nie beobachtete Erscheinungen ans Licht zu bringen, wie die kontinuierliche Emission von Neutronensternen, die Explosionen von Supernovae und den Umfang des kosmologischen oder astrophysikalischen Hintergrunds von Gravitationswellen. Dadurch wird es insbesondere möglich sein, zum Beispiel die Art und Weise zu untersuchen, auf die sich Schwarze Löcher bilden, ihre Eigenschaften und ihre Weiterentwicklung. Die Entdeckung vieler Gravitationssignale von Neutronensternen wird es dagegen gestatten, ein echtes Laboratorium der Kernphysik zur Verfügung zu haben, mit Eigenschaften, die auf der Erde nicht realisierbar sind, um darin das Verhalten der Materie unter Extrembedingungen analysieren zu können. Eine große Menge dieser Ereignisse zu entdecken, wird es darüber hinaus gestatten, die Populationen von Schwarzen Löchern und Neutronensternen zu erforschen und so regelrechte demografische Analysen hinsichtlich unseres Universums durchzuführen.

Mit ET werden wir darüber hinaus die Grenzen der allgemeinen Relativitätstheorie in extremen Umgebungen überprüfen können und begreifen, ob es möglich ist, einen Weg zu einer Vereinigung mit der Quantenmechanik zu beschreiten: die Unvereinbarkeit von Makrokosmos und Mikrokosmos ist eines der großen noch ungelösten Probleme der Grundlagenphysik.

Technik und Technologien

Das Einstein-Teleskop-Projekt wird ein Gravitationswellendetektor sein, der auf den Erfolgen der Technik der Laser-Interferometrie basiert, die bei den Experimenten der zweiten Generation LIGO und VIRGO eingesetzt wurde. Seine Empfindlichkeit wird jedoch im Vergleich zu den heutigen Experimenten dank der Vergrößerung des Detektors und der Implementierung neuer und innovativer Technologien erheblich potenziert sein.

Die Idee des ursprünglichen Projekts sieht einen dreieckigen Detektor mit 10 km langen Seiten vor. Entlang seiner unterirdischen Arme verlaufen im Inneren von Ultrahochvakuumröhren Laserbündel, die von extrem geschliffenen Spiegeln reflektiert werden, um schließlich neu zusammengesetzt zu werden und sich überlagernd die so genannte Interferenzfigur zu bilden. Wenn eine Gravitationswelle das Interferometer überquert, oszilliert die Länge der Arme und folglich legen die in ihnen verlaufenden Laserbündel Strecken unterschiedlicher Länge zurück, daher ändert sich die durch ihre Neuzusammensetzung erhaltene Interferenzfigur. ET wird diese unendlich kleinen Änderungen um einen Bruchteil eines Milliardstels des Durchmessers eines Atoms messen. Um so genaue Messungen vorzunehmen, benötigt ET modernste Technologien, die dank einer Forschungs- und Entwicklungsarbeit in Synergie mit Forschung und Industrie ad hoc geschaffen werden. Augenblicklich erforscht die wissenschaftliche Kooperation die Technologien, die das Einstein-Teleskop benötigen wird, sowie seine Geometrie und Konfiguration.

Neben einem Interferometer dreieckiger Form, das an nur einem Standort eingerichtet werden soll, prüfen die Experten auch die Möglichkeit der L-förmigen Konfiguration mit zwei senkrechten Armen, wie die der heutigen Interferometer. In diesem zweiten Fall würde das Projekt die Einrichtung von zwei Zwillingsinterferometern vorsehen, wie die aktuellen Interferometer in den USA, die an zwei verschiedenen Standorten in einem ausreichenden Abstand zueinander eingerichtet werden würden, um die Wirksamkeit bei der Lokalisierung der astrophysikalischen Quelle der Gravitationswelle im Himmel potenzieren zu können.

Die internationale wissenschaftliche Kooperation

Gravitationswellen sind einer der vielversprechendsten Forschungssektoren der Grundlagenphysik, Astrophysik, Kernphysik sowie Kosmologie: Es überrascht daher nicht, dass ein Projekt mit großen Auswirkungen für Erkenntnis und Innovation wie das Einstein-Teleskop bereits das wissenschaftliche und technologische Interesse einer breiten und internationalen Gemeinschaft auf sich gezogen hat und weiter erzeugt, sowohl auf europäischer als auch auf globaler Ebene. Wie alle Projekte der Großforschung bzw. jener groß angelegten wissenschaftlichen Forschung, die einer profunden Fähigkeit zu Zukunftsvisionen und innovativer Planung entspringt, die auf großen Experimenten beruht und umfangreiche gemeinsame Investitionen erfordert, bedarf auch ET in jeder Hinsicht der Unterstützung von Institutionen und Politik und der Synergie wissenschaftlicher und industrieller Kompetenzen.

Das Projekt ESFRI von ET ist in Form eines Konsortiums organisiert, wird von Italien und den Niederlanden geleitet und genießt die politische Unterstützung von Belgien, Polen und Spanien. Die Gemeinschaft von ET ist seit mehr als 15 Jahren aktiv und seit 2022 als internationale wissenschaftliche Kooperation organisiert, die sich aus ca. 1.600 Personen zusammensetzt, darunter Datenforscher, -ingenieure, -techniker und -wissenschaftler, die zu mehr als 230 auf 27 Länder verteilten Institutionen gehören, sowohl in Europa, mit Frankreich, Deutschland, Griechenland, der Tschechischen Republik, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und Ungarn, als auch in aller Welt.

Im Augenblick konzentriert sich die Arbeit von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern auf die Vorbereitungsphase (ET Preparatory Phase Project, die vom Programm Horizon Europe der Europäischen Kommission unterstützt wird), insbesondere auf die Ausarbeitung der Konfiguration des Detektors, die Planung und die Entwicklung der Grundlagentechnologien, auf die Vorbereitung der Datenanalysemethoden und den Bau der astrophysikalischen Modelle, die der Auslegung der Messungen und der erhobenen Daten dienen werden. Darüber hinaus sind Studien zur Charakterisierung der beiden Standortkandidaten zur Unterbringung des Einstein-Teleskops in Gang: einer in Sardinien, im Bereich des stillgelegten Bergwerks von Sos Enattos, in der Gegend von Nuoro, und einer in der Nähe der Grenze zwischen den Niederlanden, Belgien und Deutschland.

1700

Personen

30

Länder

249

Institute

Zeiten und Investitionen

Bannerbild: Simulation eines supermassereichen Schwarzen Lochs. Bildnachweis: Goddard Space Flight Center der NASA.