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ET in Italien

Der ideale Standort, um die besten Betriebsbedingungen, eine Erfolgsgeschichte bei der Erforschung der Gravitationswellen, die multidisziplinäre Exzellenz der nationalen wissenschaftlichen Forschung sowie die starke institutionelle, wissenschaftliche und gesellschaftliche Unterstützung zu garantieren: Italien ist bereit, die große Forschungsinfrastruktur Einstein-Teleskop im Bereich des stillgelegten Bergwerks von Sos Enattos, in Sardinien, unterzubringen.

Die Kandidatur wird von der italienischen Regierung, dem Ministerium für Universitäten und Forschung (MUR) sowie der Autonomen Region Sardinien unterstützt und vom Nationalen Institut für Kernphysik (INFN) in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten und Universitäten aus ganz Italien wissenschaftlich koordiniert.

Die italienische Tradition

Italien war von Anfang bei der experimentellen Erforschung der Gravitationswellen dabei und war an ihrer ganzen Geschichte maßgeblich beteiligt.

Der Rolle unseres Landes in diesem Sektor und beim Einstein-Teleskop-Projekt ist international anerkannt, so dass Italien 2020 mit dem MUR die Gruppe der europäischen Länder geleitet hat, die die Kandidatur von ET beim Europäischen Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen ESFRI eingereicht hat, das das Projekt als eines der wichtigsten auf europäischer Ebene anerkannt und es in seine Roadmap2021 der großen Forschungsinfrastrukturen aufgenommen hat, bei denen Investitionen von ausschlaggebender Bedeutung sind.

Der Einsatz Italiens bei der Erforschung der Gravitationswellen begann 1970, als die Studien für die ersten Experimente dank der Arbeit der römischen Gruppe von Edoardo Amaldi und Guido Pizzella mit den sogenannten Resonanzantennen bei extrem niedrigen Temperaturen aufgenommen wurden. In den 90er Jahren wurden die Antennen Auriga in den Laboratori Nazionali von Legnaro und Nautilius in den Laboratori Nazionali von Frascati des Instituts für Kernphysik (INFN) in Betrieb genommen, bei denen es sich jedoch um noch zu wenig empfindliche Instrumente handelte, als dass es gelingen konnte, die extrem schwachen Schwingungen der Raumzeit einzufangen. Doch in der Zwischenzeit hatten um die Mitte der 80er Jahre der Italiener Adalberto Giazotto und der Franzose Alain Brillet mit den Untersuchungen für die Entwicklung einer neuen Klasse von Experimenten begonnen, die auf einer völlig anderen Nachweistechnik basierten: der Laserinterferometrie. So entstand in Italien das Projekt VIRGO, das von dem Projekt LIGO in den Vereinigten Staaten unterstützt wurde. 2000 gründeten das INFN und das französische CNRS in der Nähe von Pisa das Gravitationswellenobservatorium (EGO), um das Projekt unterzubringen und seine Leitung zu gewährleisten, während der Detektor 2007 voll in Betrieb gehen sollte. Es sollten rund zehn Jahre und einige bedeutende Potenzierungen der Interferometer VIRGO und LIGO notwendig sein, um zu dem Erfolg der historischen Entdeckungen hinsichtlich der Gravitationswellen zu gelangen, die ab 2015 gemacht wurden.

Der Erfolg dieser Errungenschaften hat deutlich gemacht, wie sehr die Entwicklung einer neuen Generation von Gravitationswellenobservatorien heute von ausschlaggebender Bedeutung ist, um die Grenzen der aktuellen Instrumente zu überwinden: So entstand das Einstein-Teleskop-Projekt, das dazu bestimmt ist, in Europa ein Observatorium einzurichten, das in der Lage ist, dem Kosmos bis in dem Urknall nahe Zeitalter zu „lauschen“. Das wissenschaftliche Unterfangen wird daher fortgesetzt und der Beitrag Italiens wird auch dieses Mal entscheidend sein.

Sos Enattos, der ideale Standort

Das Hinterland Sardiniens ist ein idealer Ort zur Unterbringung des Einstein-Teleskops.

Momentan gibt es zwei Standortkandidaten: den italienischen Standort in der Nähe des ehemaligen Erzbergwerks von Sos Enattos in der Gegend von Nuoro, im Nordosten Sardiniens, und den holländischen Standort in einem Bereich der Europaregion Maas-Rhein, an der Grenze zwischen den Niederlanden, Belgien und Deutschland.

Die Gründe geologischer Natur, die den Bereich von Sos Enattos zum idealen Standort für die Aktivitäten von ET machen, sind zahlreich. Das seismische Rauschen, das die Leistungen des Detektors bei niedrigen Frequenzen beeinflusst, ist dank der geologischen Merkmale Sardiniens sehr gering. Denn Sardinien ist eine Mikroplatte, d. h. ein von der Eurasischen Platte gelöster Teil, der nicht mit den tektonisch aktiveren Gegenden verbunden und daher nicht von Erscheinungen der Verformung der Erdkruste oder Seismizität und Vulkanismus betroffen ist. Tatsächlich handelt es sich um ein stabiles und kompaktes Gebiet, dass durch Felsmassive gekennzeichnet ist, die ideal sind, um die unterirdischen Räume, die das Laboratorium von ET darstellen werden, unter sicheren Bedingungen zu bauen. Darüber hinaus verringert das geringe Vorkommen von Grundwasserschichten in dem Gebiet die Möglichkeit von Infiltrationen oder seismischem Rauschen und Newton-Rauschen.
Außerdem erstrecken sich in dem Gebiet von Interesse in der Provinz von Nuoro, zwischen den Gemeinden Bitti, Lula und Onanì, große ländliche Gebiete mit extrem geringer Bevölkerungsdichte und damit einhergehenden geringen menschlichen und industriellen Aktivitäten.
All dies macht den Standort von Sos Enattos zu der „stillen“ Umgebung, die ET benötigt, um geschützt und vor „Geräuschen“ isoliert zu arbeiten, die seine Messungen beeinträchtigen würden.

Das Laboratorium SAR-GRAV.

Das stillgelegte Bergwerk von Sos Enattos ist bereits heute ein Ort der Wissenschaft: denn hier ist das Laboratorium SAR-GRAV mit dem Archimedes-Experiment untergebracht. Das von der Region Sardinien finanzierte Laboratorium SAR-GRAV entstand im Rahmen einer Programmvereinbarung zwischen der Region Sardinien und der Universität Sassari, dem INFN, dem Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV), der Universität Cagliari und der IGEA Spa, der Gesellschaft, die das Bergwerk verwaltet. Ziel des Projektes ist es, eine Infrastruktur mit geringem seismischem und anthropogenem Rauschen eigens für die Erforschung der Gravitationswellen, der Gravitationsphysik und der Geophysik einzurichten. Im Moment beherbergt und unterstützt das SAR-GRAV die Aktivitäten der seismischen Charakterisierung des Standorts für seine Kandidatur.
Archimedes ist ein Experiment der Grundlagenphysik, das vom Institut für Kernphysik (INFN) finanziert wird, das durch Quantenfluktuaktionen induzierte kleine Gewichtsveränderungen untersucht. Das Experiment benötigt eine Umgebung, in der externe Faktoren seismischer Natur die Messung nicht beeinflussen. Daraus ergab sich die Wahl, es im Laboratorium SAR-GRAV zu installieren. Doch Archimedes arbeitet auch für ET, indem es die Eignung des Standorts von Sos Enattos prüft: Dank seiner extremen Empfindlichkeit wird Archimedes ein detailliertes Profil der Störung durch Umgebung und menschliche Aktivitäten des Bereichs, in dem sich das ehemalige Bergwerk befindet, erstellen.

Der Ausschuss für die italienische Kandidatur

Das Ministerium für Universitäten und Forschung (MUR) hat am 9. Februar 2023 mit Erlass der Ministerin Anna Maria Bernini einen hochrangigen technisch-wissenschaftlichen Ausschuss zur Unterstützung der italienischen Kandidatur ins Leben gerufen. Der Ausschuss mit dem Nobelpreisträger für Physik Giorgio Parisi als Vorsitzendem setzt sich aus dem Botschafter Ettore Sequi, dem ehemaligen Generalsekretär des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit, und den Wissenschaftlern Marica Branchesi und Fernando Ferroni, des Gran Sasso Science Institute und des INFN, sowie dem Präsidenten des INFN, Antonio Zoccoli, zusammen.

Die Projekte im Rahmen des Aufbau- und Resilienzplans zur Unterstützung von ET

ETIC, Einstein Telescope Infrastructure Consortium

Es handelt sich um ein mit 50 Millionen Euro vom Nationalen Aufbau- und Resilienzplan (ARP) – Next Generation EU im Rahmen der vom MUR koordinierten Mission 4 Bildung und Forschung finanziertes Projekt, das direkt im Zusammenhang mit dem internationalen Projekt Einstein Telescope entsteht und entwickelt wird und zwei Hauptziele verfolgt: Erstellung einer Machbarkeitsstudie zur Charakterisierung des Standorts von Sos Enattos sowie Einrichtung und Ausbau bei den Sitzen des INFN, den Universitäten und den Forschungseinrichtungen, die an ET beteiligt sind, eines nationalen Netzwerks von Forschungs- und Entwicklungslabors zur Ausarbeitung der Grundlagentechnologien des zukünftigen Interferometers, insbesondere der Systeme der seismischen Filterung und der Niederfrequenzsteuerung für die Aufhängung der optischen Elemente, der Kältegeräte mit geringer Geräuschbildung zum Eindämmen des Widerstandsrauschens in den optischen Elementen, neuer Technologien im Bereich der Photonik, der Optik und der Elektronik und schließlich neuer Werkstoffe zur Herstellung der Spiegel des Einstein-Teleskops.

FABER/MEET

Es handelt sich um ein Projekt im Zusammenhang mit dem breiter angelegten Projekt MEET, das vom Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanologie INGV geleitet und mit 43 Millionen Euro vom Nationalen Aufbau- und Resilienzplan (ARP) – Next Generation EU im Rahmen der vom MUR koordinierten Mission 4 Bildung und Forschung finanziert wird. Allgemeine Ziele des MEET sind die Verbesserung, die technologische Aktualisierung und die Implementierung der großen wissenschaftlichen Netzwerke, die sich mit der Überwachung und Beobachtung der Erde befassen. FABER hat insbesondere zur Unterstützung der Kandidatur von ET das Ziel der Entwicklung eines seismologischen Observatoriums in dem ehemaligen Bergwerk von Sos Enattos für die Aufzeichnung von heute noch unbekannten seismischen Signalen. Sos Enattos stellt einen privilegierten Beobachtungspunkt dar, an dem die Seismik, die Stille und die Geodynamik dazu beitragen, geophysikalische Daten hervorragender Qualität zu garantieren. Das INGV ist seit 2019 in dem Bergwerk von Sos Enattos tätig, sowohl in Zusammenarbeit mit den Universitäten von Cagliari und Sassari und dem INFN als auch mit unabhängigen Forschungsprojekten wie der Station des seismischen Netzwerks MedNet (Mediterranean Network), dessen Daten in das seismische Überwachungsnetzwerk des INGV einfließen.

TeRABIT

Als ein mit 41 Millionen Euro vom Nationalen Aufbau- und Resilienzplan (ARP) – Next Generation EU im Rahmen der vom MUR koordinierten Mission 4 Bildung und Forschung finanziertes Projekt, das vom INFN zusammen mit dem Nationalen Ozeanographischen und Geophysikalischen Institut – OGS, dem Consortium GARR und dem Konsortium CINECA verwaltet wird, wird TeRABIT eine integrierte Rechen- und Netzwerkinfrastruktur mit extrem hohen Leistungen schaffen, die auf höchst zuverlässigen dedizierten Lichtwellenleitern der letzten Generation basiert und den Datenaustausch bei Terabit-Geschwindigkeit (1000 Milliarden Bits pro Sekunde) gestatten wird. Die neue Infrastruktur, die den Wissenschaftsgemeinden auf dem gesamten Landesgebiet unabhängig von der geografischen Lage zur Verfügung stehen wird, wird die Unterschiede in Hinblick auf die Möglichkeit des Zugriffs auf Hochleistungsrechnen beseitigen und die Zusammenarbeit und Wettbewerbsfähigkeit fördern Insbesondere wird TeRABIT in Sardinien eine Lichtwellenleitererweiterung des Forschungsnetzwerks der Insel implementieren und zum ersten Mal dank Unterwasserkabeln eine doppelte extrem schnelle Lichtwellenleiterverbindung realisieren, die nicht nur die schnelle Übertragung der Daten, sondern auch Redundanz und Zuverlässigkeit des Systems garantieren wird, was der gesamten Wissenschaftsgemeinde der Insel zugute kommen wird. Die von TeRABIT geschaffene Infrastruktur wird bei der Kandidatur von Sardinien als Standort für das Einstein-Teleskop eine Rolle spielen, eine Forschungsinfrastruktur, die große Datenmengen hervorbringen wird, die mit einer auf dem gesamten Planeten verteilten Wissenschaftsgemeinde geteilt werden sollen. Die ultraschnelle Vernetzung des Standorts von Sos Enattos stellt daher ein ausschlaggebendes Element dar.

Bannerbild: Panorama der Mine von Sos Enattos. Credits: INFN-EGO